Nachfolgend ein Artikel aus dem Jahre 1999, der mich beim Stöbern nach launiger Lektüre für diese Site nicht schlecht verblüfft hat - offensichtlich war der Grundgeist von A-Team schon länger
am Start ...
Marquis de Barré über "Worauf kommt's an?"
Das Jahr '71. Die seltenen Male, die Elvis heimlich Graceland verließ, saß er abgeschirmt und unerkannt in einer Musikkneipe im Amüsierviertel von Memphis. Dass just eines jener Abende zu einem
Elvis-Wettbewerb aufgerufen war, hatte er schlicht übersehen. Der Wirt schaffte es schließlich - lockte ihn aus der dunklen Sitzecke auf die Bühne. Elvis stellte sich der Konkurrenz und wurde -
dritter....
Was sich liest wie ein Stammtischkalauer, ist verbriefte Wahrheit und hat das Zeug, sensible Naturen am Sinn des Lebens verzweifeln zu lassen. Vielleicht war er "nicht mehr gut genug"? Nein,
nicht 1971, da war er in Hochform. Hat vielleicht das, was er tatsächlich war, in solch einem grotesken Rahmen nicht gereicht, gegen die Persiflagen anzukommen? Wohl eher! Was ist Wunsch und was
ist Wirklichkeit und woran sollen wir uns orientieren? Welchem Licht soll zum Beispiel ein pubertierender aufstrebender Gitarrengott folgen? Welche Regeln sind die richtigen und was gilt es zu
vermeiden?
Soviel gleich vorweg: Es gibt keinen richtigen Weg! (...je mehr Biografien man liest - man könnte zu dem Schluss kommen, dass "der richtige" sowieso der falsche Weg ist...)
Aber es gibt richtige Entscheidungen - auch wenn sie sich kaum voraussehen lassen und planen und timen schon gar nicht.
Also, ich bin 13 und finde Gitarre unheimlich cool und "das" muss es werden. Investiert sind 165,- Mark für eine Schlachgitarre, inklusive rotkariertem Trageetui. Dann, ich bin 14, Unterricht bei
"dem Typ" von der Penne. Bald bin ich 15 und wundere mich, dass ich mehr kann ("kann", nicht "weiß" - mehr dazu später...) als der Typ und der hat bereits zum dritten Mal die Preise erhöht
(Ferien durchbezahlt). Ich bin 16 und steh auf eigenen Füßen. Frühe Idole (den Typ) hat man längst hinter sich gelassen, neue an seine Stelle gesetzt, die bald auch flockig überholt und man
wittert Morgenluft. Spätpubertärer Größenwahn räkelt sich: "die kochen doch alle nur mit Wasser." Und der Respekt vor den Größen des Metiers sinkt auf den Nullpunkt. "Clapton mit seinen
Trödellicks langweilt - Santana hat die vollkranke Handhaltung - McLaughlin blufft doch nur." Die Weichen sind gestellt, auf dem Olymp ist nicht genug Platz, also müssen die Schnarchlappen da
runter. Vorher will die Klinge noch geschärft werden - und dazu geht man am besten auf eine Schule und zwar die beste und dann...
Als ich so oder ähnlich abhob, da war ich auch etwa 16 und es hat alles noch schrecklich lang gedauert, z. B. zwei Jahre, bevor ich überhaupt meine erste E-Gitarre hatte, und überhaupt kam alles
ganz anders - aber der Wille, der loderte impertinent und weit sichtbar.
Was tun? "Mach erst mal die Schule fertig, dann kannst du weitersehen". Okay, macht man die Schule fertig. "Jetzt überstürz nix, lern erstmal was Anständiges, dann kommt die Musik von selbst".
Okay, von mir aus, dann eben Elektrotechnik, da wird man Tontechniker, dann gefeierter Producer und wahres Talent ist eh nicht zu stoppen. ...Nach einigen ereignislosen Semestern - scheiß auf
Statik und technische Mechanik, jetzt gibt's Betriebswirtschaft - schließlich will rechtzeitig gelernt sein, wie man seine Rock'n Roll Millionen verwaltet.... Aber auch da war wenig für das wahre
Leben zu lernen... Letztendlich obsiegte der Instinkt, wenn auch mit schändlich Verspätung.
Also ja, ich ging nach Amehriga, auf eine Gitarrenschule und ergab mich dem hehren Ziele - ALLES KÖNNEN: Lesen, Schreiben, Rechnen (spiele Quintole gegen 16tel), Blues, Swing, Rock, Jazz, Pop,
Country, Bossa, Polka, Fingerpick, Bottleneck, Cha Cha Cha. Großartig! Nur - klingt das nicht verdächtig nach der Promomappe eines falsettierenden Alleinunterhalters auf einem polnischen
Kreuzfahrtschiff? - das hätte mich stutzig machen müssen. Alles können - ALLES, ist das realistisch? Vor allem, wenn man so wenig wusste wie ich, so überhaupt kein Basiswissen hatte?
Will noch mal erwähnen, daß ich aus einer oberbayerischen Kleinstbesiedelung stamme, die bis heute kein öffentliches Verkehrsmittel erreicht. Nix da Geschäfte des täglichen Bedarfs, von Schulen
ganz zu schweigen. Hey, keine Scherze, die Telefonzelle, die geht jetzt manchmal und vor 'n paar Jahren ham'se da sogar Licht reingebaut - voll so downtownmäßig. Und dann kam ich mit 10 in ein
Schülerheim im Allgäu, also auch nicht gerade Ecke 5th Avenue und Broadway... Ja, ich muss so ausholen, weil ich das emotionale Umfeld (Mitleid und Betroffenheit) schaffen muss für meine nächste
Bekennerrunde. Ich erinnere mich nämlich noch, wie mir mal mit etwa 14 Jahren eine Saite riss, zuhause in den Ferien, und ich mutterseelenallein mit dem Fahrrad 10 Kilometer gegen den tosenden
W.... Ich kann nicht mehr, die Tränen, muss mich sammeln...
Hattmaschonma? Gut, wurscht, jedenfalls hatte ich mich inspiriert durch den saumäßigen Unterricht von "dem Typ" (gebongt, literarische Übertreibung, waren ingesamt nur 3 Stunden) dazu
durchgerungen, alles selbst zu "lernen". Was einerseits zwar ganz beachtliche Entwicklungen brachte, andererseits aber auch Lücken entstehen ließ, die mir Jahre später mein Fortkommen gewaltig
verhagelten. Man stell sich vor - mit ca. 17 Jahren entdeckte ich auf dem Griffbrett immer häufiger so regelmäßige Fingersätze, die ungeachtet der jeweiligen Tonart so unheimlich gut beim
"Solieren" funktionierten. Nach geduldiger Recherche fand ich schließlich 5 dieser Formen mit einer Gesamtausdehnung von 12 Bünden und ich lernte sie und spielte und übte sie und nannte sie
schließlich "Improvisationsblöcke 1 - 5". Mann, was war ich stolz! Ich hatte ein Mysterium entschlüsselt, ganz alleine - der ungeordneten Gitarre ihre verborgene Ordnung entrissen, Wahnsinn!
Scheiße ja, vielleicht hätt' ich ein paar Jahre einsparen können, hätte mir jemand beizeiten gesagt, dass das die pentatonischen Fingersätze sind - aber sowas liegt wohl in der Familie. Nach
Überlieferung hatte ein entfernter Onkel von mir in den späten 40er Jahren sein gesamtes Vermögen in die Entwicklung der ersten elektrischen Schreibmaschine investiert, um bei Anmeldung seiner
Revolution mitgeteilt zu bekommen, daß die Dinger in New York in jedem schwindligen Büro stehen. Jedenfalls merkte ich, daß man die eine oder andere Minute einsparen kann, wenn man vielleicht
doch mal ein Buch zur Hand nimmt, z. B. über Theorie oder Funktionsharmonik. Die gabs damals aber nur in Englisch (- weil die zwei, die es in Deutsch gab, die waren genaugenommen chinesisch...).
Wie auch immer, jedenfalls mühte ich mich mit meinem schütteren Englisch durch Guitar Styles / Joe Pass etc. Die Dinger sahen auch mächtig streng aus und immer, wenn mich ein BWL oder E-Technik
Kommilitone besuchte, lagen sie ganz beiläufig auf dem Klo rum. Na, waren die platt, was ich da für intellektuelle Vollwertkost... Klar, und für die Mädels tauschte man das kurzzeitig gegen Erich
Fromm und Sartre aus, aber egal...
Mein mangelndes Grundwissen, meine lückenhafte Kenntnis von Griffbrett, Akkordaufbau, Notenlesen - eigentlich alles außer Cowboy Akkorde - brachten mich später in arge Schwulitäten und es dauerte
bis weit in meine Twenjahre, bis ich da endlich klarsah. Trotzdem, dieses Rätselraten, Rumstöpseln und Zusammenflicken erzeugte eine sehr intensive Form des "Verstehens" und half mir später auch
beim Unterrichten, half mir zu sehen, wo für die Schüler die Tücken lauern. Hand auf's Herz - welcher Kollege kennt das nicht: Modes "erklären" ist nicht schwer - "schmackhaft" machen aber
sehr....
Aber vieles hat sich seit jenen späten grauen 70ern in unseren Breiten zum Besseren gewendet. Es gibt Literatur, Lehrer und Schulen, die ihr Wissen fundiert vermitteln und nicht mehr aus dritter
Hand zusammenstöpseln. Das macht zuversichtlich und läßt das Niveau ja auch gewaltig ansteigen. Und dennoch bleibt Raum zum Nachdenken:
Schulen, gerade im deutschsprachigen Raum, haben die Tendenz, mehr in Aussicht zu stellen, mehr anzubieten, durchzudrücken, als das Individuum verträgt. Das liegt in der Natur der Sache und ein
18-Jähriger mag ja auch wirklich daran interessiert sein, absolut alles über das Gitarrespielen zu erfahren und zu lernen, um später seinen persönlichen Schwerpunkt frei auswählen zu können. Es
gibt aber auch solche, die schon länger Musik machen und bereits eine eigene Stilistik, einen eigenen Schwerpunkt entwickelt haben. Und die sind es, die mir manchesmal Kopfschmerzen bereiteten
und bereiten, denn da wird mir zu selbstverständlich gleichgeschaltet. Da werden im Interesse des Klassenziels allzu oft natürlich gewachsene Stilistiken, Spielweisen und Stärken zerschlagen.
Wenn ich mir heute ansehe, wieviele Kilo Papier aus meiner G.I.T. - Zeit noch immer ungeküsst im Regal liegen, dann könnte man meinen, ich hätte das Lernziel verfehlt. Aber im Gegenteil, 15 Jahre
Abstand und zwischenzeitlich 9 Jahre Unterrichten haben mein "schlechtes Gewissen" dankenswerterweise gelöscht. Ja, was hab ich mich gequält und gegrämt, was hätte es noch alles zu tun gegeben,
was hätte ich noch alles vertiefen können. Doch man hat ja nur ein Leben und da muß man schon mal gegen allen "moralischen" Druck von außen mit seiner Zeit haushalten. Ich hab auch zu viele
Musiker an dieser unlösbaren Aufgabe verzweifeln sehen, als dass ich diese geplante Überlastung hätte auf die leichte Schulter nehmen wollen. Wohl denen, die da etwas robuster gestrickt sind und
den Mumm haben, auf den Tisch zu hauen " scheiß auf Quintolen, auf krumme Takte, auf Superimposition - ich spiel R&B!" oder " Schluss mit Arpeggios und Altered Modes - ich will der beste
Rhythmusgitarrist werden!". Die musikalische Landschaft ist sehr weitläufig und ich hatte das Glück, rechtzeitig den einen oder anderen "Star" kennenlernen zu dürfen und dabei verdutzt
feststellen müssen, was mancher von denen bei aller Berühmtheit NICHT konnte - Blattspiel, Funktionsharmonik, Theorie, stilistische Vielfalt.... Oder wieviele mit völlig verkorkster Rechter- und
Linker-Handtechnik durchs Leben gehen. Bin auch oft als unfreiwilliger "Rot-Kreuz-Techniker" dabeigewesen, wenn ein Idol nicht in der Lage war, einen simplen Combo-Amp für eine Session auf den
persönlichen Sound einzuregeln - von Anschluss der Effekte oder korrektem Saitenaufziehen ganz zu schweigen. Wir Musiker - und wir Deutschen, die wir so weit vom Land unserer Idole (UK und USA)
entfernt sind, im besonderen - haben die Tendenz, zu sehr aufzusehen, zu sehr zu implizieren. Wir implizieren: Wer berühmt ist, der weiß alles, der kann alles, der schafft alles.
Ich kann nur sagen, da sieht die Realität oft völlig anders aus. Eigentlich sollte man solche Sachen ja nicht sagen, aber... da regiert selbst in den allerobersten Etagen die kindliche Angst -
wenn Rockgitarrist A, ob seiner Erfolge, von Producerlegende B zu einer Jahrhundert Recordingsession geladen wird. Oder Gitarrenlegende X mit Sangeslegende Y vor laufenden BBC Kameras eine
Charity Jam Session in der Royal Albert Hall abliefern soll. Sicher, die meisten dieser Lichtfiguren überspielen und kompensieren ihre Nervosität einfach routinierter, hatten im Laufe ihrer
Karriere im Crash-Verfahren lernen müssen, auch unter schlimmstem Druck noch zu funktionieren und zu lächeln und verfügen daher über bessere Techniken, um "bei sich zu bleiben".
Und dieses "bei sich bleiben", genau das, glaube ich, ist der Schlüssel. Und genau da meine ich, darf und muss man mal zündeln am geistigen Besitzstand.
Jeder von uns, gleich wie alt er ist, hat seine Schwerpunkte, seine Vorlieben, seine persönlichen Stärken, seinen Mittelpunkt und all das läuft vielleicht Gefahr, von allzu lehrplanmäßiger
Gleichschalterei abgeschliffen zu werden. Die Wahrheit steht oft Kopf. Ich kann aus langer Erfahrung sagen, daß stilistisch/technische Außenseiter vom "Markt" eher willkommengeheißen werden,
während die "Glattgeschliffenen", die "Angepassten", die "Alleskönner" häufig übersehen werden. Natürlich muss man bei solchen Worten unterscheiden, ob jemand ein "Working Musician" (arbeitender
Musiker), oder ein "Creative Artist" (kreativer Künstler) ist, bzw. werden will. Beides hat natürlich seine Vor- und Nachteile.
Wir "Unterhaltungsmusiker" hatten in der deutschen Musikkultur einen gewaltigen Nachholbedarf. Wir mussten nachziehen mit deutschsprachiger Fachlitaratur, mit Lernprogrammen, mit Fachwissen.
Meiner Meinung nach ist das Ziel aber erreicht und jetzt gilt es, die teutsche Gründlichkeit zu bremsen. Käme Mark Knopfler heute auf eine Gitarrenschule, sehr wahrscheinlich bekäme er die
Fingertechnik aus- und die Plektrumtechnik eingebleut. Auch Benson, Morse, van Halen und Santana müssten für ihre Pickhand nachsitzen und McLaughlin, B. B. King, Stevie Ray Vaughan... - um Gottes
Willen, diese Linke, da muß man doch dringend.... Robben Ford würde wegen "Blattspiel" der Abschluss verwehrt, Eric Johnson für seine Timingprobleme in die Nachprüfung geladen und Liam Gallagher
erhielte für seine gertenschlanke Akkordauswahl die grellrote Laterne. Nur....was soll der Schmarrn? Gibt der Erfolg ihnen etwa nicht Recht? Na bitte! Und außerdem sind derartige "Defizite" und
"Abweichungen" ein solider Garant für expressive Leckerbissen und vieles mehr! In diesem Sinne:
Liebe Kollegen, liebe Lehrer, liebe Lärmenden,
bei aller Sorgfalt, bei all den hehren Unterrichtszielen, bei allem Respekt vor Lehrplänen und Leistungsnachweisen - und bei aller Verunglimpfung von Spartenakrobatik (da darf ich mich nicht
ausnehmen..) - bitte erhaltet die Ecken und Kanten, lasst Raum für Schrullen, ermutigt die Freaks und beschützt die Sonderlinge! Es gibt schon genug Restriktionen und Zwangsjacken: Trends,
Stilschubladen, Lagerdenken, Marktgesetze und Wirtschaftszwänge.
Sicher - könnte man sagen - löst ein echter Künstler sowas aus eigener Kraft. Aber vielleicht kosten diese artigen Folgsamkeiten ein paar der alles entscheidenden Jahre....
Man DARF es versuchen, aber man KANN nicht alles können - und MÜSSEN schon gar nicht!
© 2002 Abi von Reininghaus