"Sie sind also bereit, ihrem bisherigen Leben einen neuen Impuls zu geben? Respekt! Ich bezweifle nicht im mindesten, dass Sie etwas können, behaupte aber, dass Sie bisher weit unter ihren
Möglichkeiten, ihrem Potential geblieben sind." (An der Intro feil ich noch ein bißchen, und dann verkauf ich das Ding an die Pizza- Hut-Personalabteilung und setz mich zur Ruhe.)
An solchen Nahkampfphilosophien ist zwar manches auszusetzen, ihr enormer Erfolg basiert jedoch auf äußerst einfach nachzuvollziehenden Grundwahrheiten.
Natürlich könnten wir mehr leisten, wenn der Tag 34 Stunden hätte, wenn der Fernseher kaputt und die Biergärten verboten wären. Das ist keine Erleuchtung. Interessant wird es dort, wo wir die
Energien, die wir bereits auf etwas gerichtet haben, falsch einsetzen.
Und zurück zur Gitarre - hier die Grundstrategie:
1. Überprüfen von Gewohnheitsmustern
2. Fehlerhafte Gewohnheitsmuster aufdecken und ersetzen.
Ziemlich überheblich und für wen ich mich eigentlich halte...! Klar, wo's doch so viele gute Bücher gibt und Videos und Internet und wir mit all den schönen Sachen längst schon im Nirvana dümpeln
müssten... Aber von wegen...
Nehmen wir uns mal die für die rechte Hand essentiellen technischen Grundlagen vor:
Das "Alternate Picking" - was nichts anderes heißt als "Wechsel- schlag" - also regelmäßiger Auf- und Abschlag mit dem Plektrum beim Spielen von Melodielinien.
Der "Inside-Outside Stroke" widmet sich der Art, wie dieser Wechselschlag bei zwei nebeneinanderliegende Saiten ausgeführt wird - im Zwischenraum der beiden Saiten oder außerhalb.
Und "String Skipping" beschäftigt sich mit der Art des Anschlages, der im Rahmen des Wechselschlages beim Überspringen/Auslassen von Saiten entsteht.
"Alternate Picking": Die Saiten werden mit dem Plektrum erst einmal stur und ausnahmslos wechselweise mit Ab- und dann mit Aufschlag angeschlagen! Ich sage dies deshalb so eindringlich, weil das
sog. "Sweepen" bzw. "Speedpicking" ohne fundierte Wechselschlagtechnik viel Unheil anrichtet.
Selbst Frank Gambales Sweeping wurzelt in einer brillanten Wechselschlagtechnik. Vorteil der Wechselschlagtechnik ist, dass man ab einem gewissen Punkt nicht mehr nachdenken muss, wie eine
spezielle Notenfolge anzuschlagen ist, sondern sie quasi automatisch durchspielen kann.
Natürlich gibt es massenhaft Situationen, in denen ein kleiner Sweep hier und da das Tempo, die Geläufigkeit ganz wesentlich verbessern würde. Lerne ich jedoch eine Figur von Anfang an in
Sweeptechnik, ist sie nicht mehr veränderbar. Würde ich innerhalb dieser "festen" Figur auch nur eine einzige Note entfernen oder einsetzen, das gesamte Anschlagmuster würde aus den Fugen
geraten, die mühsam auswendig gelernte Figur in sich zusammen- brechen, müsste erneut als Ganzes auswendig gelernt werden. Der "sture" Wechselschlag verhält sich hier ganz anders. Er ist
unsensibler, führt jeden Befehl unreflektiert aus und lenkt unsere Aufmerksamkeit nicht zeitgleich auf beide Hände.
Eine notwendige Randbemerkung: Ich spreche im Moment nicht von Licks und wie man sie auf Tempo bringt, sondern wie man unverkrampft mit solidem Ton und stabilem Time durch die alltäglichen
Aufgaben kommt.
Weil mir meine Lebenserfahrung eben zuflüstert, dass sich kein Mensch mehr an Kapitel 5 aus dem Jahr '91 erinnert, hier noch einmal die für uns jetzt wesentliche Übungsfigur:
Ich bitte die Teile A, B, C und D erst separat zu betrachten und dann sorgfältig zu verknüpfen. In dieser kleinen Übung sind viele Bewegungen enthalten, die wir auf der Gitarre normalerweise
meiden.
Dies bezieht sich zwar in erster Linie auf die Anschlaghand, bietet für die Greifhand aber immer noch genug Sprengsstoff. Woraus sich auch erklärt, warum man sich diese einfache C-Dur-Linie
anscheinend so schlecht merken kann.
Warum sich der Wechselschlag mit all seinen Vorzügen nicht uneingeschränkter Beliebtheit erfreut, erklärt sich aus einer ebenso unauffälligen wie schlechten Angewohnheit, die ich "Outside
Stroke", "Außenanschlag" nenne.
Hätten wir die Aufgabe, z. B. zwischen B- und E-Saite hin und her zu springen, würden fast alle von uns die B-Saite von oben und die E-Saite von unten anschlagen, somit einen Außenanschlag
"Outside-Stroke" bevorzugen.
Verschwindend wenige wählen spontan einen Innenanschlag, spielen also die B-Saite von unten und die E-Saite von oben. Nicht ein einziger, den ich im Laufe der Jahre vor diese Aufgabe gestelll
habe, hatte beide Alternativen gleichwertig verfügbar.
Mich selbst nehme ich da gar nicht aus. Für mich war der Außen- anschlag richtig und alles andere fühlte sich verboten an. Erst allmählich dämmerte mir, dass hier ein wichtiger Schlüssel zu den
magischen " 3 T" liegt: Tone - Time - Tempo.
Mit den Segnungen zeitgemäßen Marketings bewaffnet, beschloss ich, fortan meine Umwelt mit "Right-Hand-Percussion" zu molestieren. Man nehme ein Blatt Papier und fädle es etwa in Höhe des 7.
Bundes zwischen den Saiten hindurch. (Über der E-Saite, unter der A, über der D, unter der G, über der B und unter der E Saite - aloha, Ikea.) Alles, was ich jetzt mit der rechten Hand spiele,
knallt rein wie ein Satz Timbales und das ist gut so. Die linke Hand interressiert im Augenblick nicht. Wir wollen uns exklusiv der rechten Hand widmen und diese nicht auf Tempo, sondern auf
Gleichmäßigkeit und Bequemlichkeit (Kondition) trainieren. Ich will noch anfügen, dass solche Übungen ohne Metronom natürlich ein frommer Selbstbetrug sind.
Ziel ist es, den Insidestroke mit der gleichen Lautstärke, dem gleichen Time und mit dem gleichen Gefühl von Selbst- verständlichkeit wie den Outsidestroke abliefern zu können.
Der Insidestroke verlangt mehr Präzision und lässt sich deshalb anfangs auch nicht so kraftvoll einsetzen wie der gewohnte Outside-Stroke.
"String Skipping ", also das Überspringen von Saiten beim Anschlagen, die dritte der angedrohten Überschriften, rundet die Idee schließlich ab. An Bläser sollen wir denken, heißt es immer wieder,
wie ein Saxophon müssen wir klingen. Warum ist denn das so ein Riesenthema?
Ich glaube, was an der Gitarre so nerven kann, sind diese Korinthenkacker-Intervalle. Mehr als eine große Terz ist nicht drin. Das ist zwar mit der Struktur von Pentatonik- und Major-Patterns
sowie Septakkord-Arpeggios entschuldbar, musikalisch aber ausgesprochen dürftig.
Dieser Tristesse tritt die Sweeptechnik zwar aufs Entschlossenste entgegen, schießt insofern aber gleich wieder übers Ziel hinaus, als kleine Intervalle, vorzugsweise Sekunden, fast völlig
ignoriert werden.
Da ich der hartnäckigen Auffassung bin, dass Melodik nicht ein Abfallprodukt von mehr oder weniger bequemen Fingersätzen sein darf, fordere ich, dass die Technik sich den Anforderungen der Musik
unterzuordnen hat und nicht, wie üblich umgekehrt! Wer sweept, wird erfahrungsgemäß Terzen, Quarten und Quinten bevorzugen und Sekunden, Sexten und Septimen eher meiden. Auf einen technischen
Nenner gebracht:
Es muss ein Anschlag entwickelt werden, der alle melodischen und rhythmischen Erfordernisse gleichermaßen bedienen kann. Der Wechselschlag ist und bleibt die fundierteste und im Prinzip
einfachste Anschlagtechnik! Gerade deshalb müssen wir ihn perfektionieren. Um möglichst viele unterschiedliche Intervalle in unsere Stringskipping-Übungen einbeziehen zu können, komme ich noch
einmal auf Kapitel 7 zurück.
Dort hatte ich Durtonleiterfingersätze (ungeachtet der tatsächlichen Intervallabfolge) als Abfolge von Tönen betrachtet und sie dann einfach vom tiefsten Ton des Fingersatzes bis zum höchsten
durchnummeriert. So bildet z. B. das Major Pattern I die Zahlenreihe von I bis 17
1-2-3-4-5 -6-7- ...etc.. -16-17.
Stelle ich die Zahlenfolge nach unterschiedlichen Sequenzen um, so entstehen nicht nur sehr wohlklingende Notenfolgen, sondern auch brilliante Fingerübungen. Die Arbeitsnamen beziehen sich
übrigens auf die so tatsächlich entstandenen Intervallsprünge. "In Terzen" wurde seinerzeit ja schon eingehend besprochen. Hier nochmal die Zahlenreihe:
1-3 2-4 3-5 4-6 5-7 6-8 7-9 8-10...15-17
"ln Quarten":
1-4 2-5 3-6 4-7 5-8 6-9 7-10 8-11...14-17
"ln Quinten":
1-5 2-6 3-7 4-8 5-9 6-10 7-11...13-17
"ln Sexten":
1-6 2-7 3-8 4-9 5-10 6-11 7-12...12-17
"ln Septen":
1-7 2-8 3-9 4-10 5-11 6-12 7-13...11-17
"ln Oktaven":
1-8 2-9 3-10 4-11 5-12 6-13 7-14...10-17
Alle Reihen vermischen "lnside- und Outsidestroke" auf vielfältige Weise und klingen dennoch ausgesprochen musikalisch, eine Qualität, die sonstigen Fingerübungen selten nachhängt! Ich habe zur
Ermutigung in
© 2002 Abi von Reininghaus