Jetzt muss ich unbedingt anmerken, dass sich einige der quirlig wirren Insider-Jokes wirklich nur aus der prallen Flut vorangegangener Folgen erklären lassen - allem voran "Die Tochter des
Königs", dann "der Stefan", dicht gefolgt vom "Jazz" und den "Jazzern" ganz allgemein und schließlich seiner Durchschlaucht "Marquis de Barré"... Aber egal, geschrieben ist
geschrieben!
"Scheiß Optionen!"
So, hier sitze ich also wieder und frage mich: Was soll, darf, werde ich diesmal schreiben? Und mit einem Mal erinnere ich mich an die Anekdote über den Präsidenten des französischen Patentamtes,
der im Jahre 1894 allen Ernstes mit den Worten "Erfindungen sind nicht mehr möglich, was immer der Mensch erfinden konnte, hat er bereits erfunden" von seinem hochdotierten Amt zurückgetreten
sein soll. Der arme Tor! Gut, bis Leo Fender hat's schon ein wenig gedauert, aber das hätte man doch mit etwas gutem Willen aussitzen können. Na ja, egal - er war jedenfalls dieser Meinung und
besser so eine als gar keine.... Und weil man sich jetzt fragt, was das mit diesem Kapitel zu tun haben könnte: Ich sitze ebenfalls vor dem Bildschirm und denke "Das könnte es jetzt doch gewesen
sein. Was will man denn noch schreiben? 90 Folgen, siebeneinhalb Jahre, 350.000 Worte, ein schöner Haufen Blech - die Abbildungen noch gar nicht mitgerechnet...." Dann komme ich aber plötzlich
auf die Idee, die Folgen der letzten zwei Jahre als Übersicht zusammengefasst in ein Kapitel zu stopfen (ist überfällig und vielleicht mach ich das auch, damit die Fragerei aufhört) und plötzlich
denk ich "Von wegen keine zündenden Themen mehr...gibt's doch gar nicht, das kann doch nicht wahr sein! Warum ist mir das nicht schon viel früher aufgefallen?" Aber der Reihe nach...
Um in die richtige Stimmung zu kommen, schlage ich vor, zuerst die in dieser Serie abgefeierte Themenbreite zu betrachten, dann die der Kollegen, dann einen Blick in mein Buch zu riskieren, sich
daraufhin anderen Büchern zuzuwenden, dann die auf dem Markt befindlichen Audio CDs, Videos und CD-ROMs zu sichten, die zur Verfügung stehenden Lehrer und Schulen, sowie die (meist sogar
kostenlos angebotenen) Workshops zu zählen, in Fernsehzeitungen und Radioprogrammen rumzustochern und sich schließlich auch mal ins Internet vorzutasten? Na, fehlt's wirklich an
Informationsquellen, fehlt's an Impulsen, Inspirationen, an Abwechslung? Zur Hölle, nein!
Aber was hör ich da ständig? "Ich weiß nicht, was ich spielen soll. Ich spiel immer das Gleiche. Irgendwie komm ich nicht weiter...". Und andauernd klingt es, als fehlte es gerade jetzt an
dringend benötigter Information, als fehlte es am stimmigen Angebot, an der Vielfalt. Aber das ist doch völlig hirnrissig - das stimmt nicht!
Wenn es irgendwo krankt, dann an unserem Konsumverhalten, an unserer Wahrnehmung und Wertschätzung.
Ich hab natürlich gleich wieder gesucht, ob mir ein Schlagwort zum Thema einfällt, eines, das alles unter sich vereint und hastenichgesehn, da isses: Optionen! Es krankt an den "OPTIONEN". Wieso
krankt, der Duden sagt dazu "freie Entscheidung"? Ein geschmeidiger Begriff, eine prima Sache, davon kann man doch gar nicht genug haben - denkt man. Aber dem ist nicht so!
So, dann wollen wir mal schweifen, und zwar ab und das heftig:
Den Älteren unter der verehrten Leserschaft wird die Band Mezzoforte vielleicht noch etwas sagen. Eine isländische Pop-Fusion Band, die in den 80ern recht beachtliche Verkäufe, allem voran mit
dem Instrumentalhit "Garden Party" (Mezzoforte "Surprise, Surprise" Polydor/Steinar Records © 1982) vorweisen konnte. Als ich seinerzeit mit Fridrik Karlsson, dem Gitarristen und Kopf der Band,
ins Gespräch kam, da war ich sehr beeindruckt von seinen Erzählungen über die Musikkultur in Island (mittlerweile hat sich da schon gewaltig was verändert). Mit etwas soziologischer Ironie hätte
man die beschriebenen Lern- und Fortbildungsmöglichkeiten eines ambitionierten isländischen Musikers mit einem geschlossenen Laborbiotop gleichsetzen können. Soll heißen: Was immer in solch einem
hermetischen System passieren soll, das muss aus sich heraus entstehen, ohne Hilfe von außen. Nach Fridriks Aussage war zu jener Zeit auf Island nullkommanichts zu kriegen - kein Zugriff auf gute
Platten, keine Bücher, keine brauchbare Radiostation und das Internet verknüpfte ja gerade mal das Silicon Valley mit 8 Universitätsrechnern. Aber wenn einer der Eisländer doch mal gute Musik zu
fassen kriegte, (weil irgendein Barmherziger ein Einsehen hatte und Ostpolarzonenfresspakete mit 'n paar Scheiben Wurst, Käse und Mucke über Reykjavík abwarf), dann wurde die gehört, zerlegt und
analysiert, solange, bis auch das letzte Quentchen durchleuchtet war. Fritzi wäre über meine Zeilen jetzt sicher total sauer, weil er Stein und Bein schwor, dass Strom kein Thema mehr wäre und
keiner seiner Kumpels den Fisch roh fressen würde, aber ich hab's ihm einfach nicht geglaubt...schon weil seine Beteuerungen in dem unnachahmlich zähfließenden Englisch so affenscharf klangen.
Jedenfalls - wann immer ich der Band so zuhörte, da begann ich mich zu fragen, ob der Mangel wirklich ein Fluch oder am Ende vielleicht doch ein Segen war. Und je länger ich über alle uns zur
Verfügung stehenden Informations- und Weiterbildungsmöglichkeiten nachdenke, umso sicherer werde ich mir. Ja, verdammt - weniger ist mehr - wir leben in lähmendem Überfluss! Wir leben im
Data-Overload, wir wissen zuviel, wir haben es zu einfach! Und zu allem Überdruss verwechseln wir die Verfügbarkeit von Wissen andauernd mit deren Verwendbarkeit.
Und die Moral von der Geschicht? Wir wissen mit unserem Wissen nichts mehr anzufangen. Wir suchen zu allem angehäuften Wissen händeringend das nächste Überwissen, das uns helfen soll, uns zu
orientieren, zu selektieren, unser Hirn zu sortieren. Auf dass hinter den Bäumen wieder der Wald erkennbar werde ...
Bloß, wer fährt denn auf der Datenautobahn schon freiwillig rechts ran, wenn's auf der linken Spur gerade so flüssig läuft... Aber, da gibt es schon Licht am Ende des Tunnels - ein
Beispiel:
Bauen Klöster nicht immer häufiger Gästehäuser an, um auch wirklich jedem Klar- und Schlichtheit suchenden Manager Quartier bieten zu können? Logo, denken wir, die Wirtschaftstypen sind ja doof,
die blicken vor lauter Arbeit nicht mehr durch, die Leben ja total bescheuert. Uuund - was wäre, wenn ich nun behauptete, wir sind keinen Deut besser?
Ja, und damit's auf keinen Fall so wirkt, als würde ich nur mit dem Finger auf andere zeigen. Outing, outing - ich bin genauso! Anstatt zu genießen und zu nutzen, was ich längst habe, bin ich
ständig auf der Jagd und suche, kaufe, lese, höre alles, was nur halbwegs nach einem neuen Impuls aussehen könnte. Dabei fällt mir aber immer öfter auf, dass mich die Sucherei mindestens soviel
oder mehr Energie kostet als ich aus den gefundenen Informationen zurückgewinnen kann.
Ich will hier keineswegs gegen die Lust zu kaufen, zu haben, anzusammeln, aufzureihen und auszustellen zu Felde ziehen, das wäre heuchlerisch und auch jammerschade. Wer will denn auf das Gefühl
verzichten, herzklopfend mit einer neuen Gitarre im Keller zu verschwinden, ein pralles neues Buch zum ersten Mal bei einer Tasse Kaffee durchzublättern oder sich menschlich so angenommen zu
fühlen auf Seite 4 eines Owners Handbook, wenn da in feinporigen Worten genau auf einen zugeschnitten (.....woher kennen die mich so gut?) etwas von "congratulations", "artist", "discriminating
ear" und "your full potential" steht. Ja, hallo, wenn ich dann freudetaumelnd im Langenscheidt lese von "Glückwunsch", "Künstler", "scharfsinnig/kluges Ohr" und gar von "Stärke und
Leistungsfähigkeit" - wie hätte ich mich selbst besser beschreiben können? Ja, ja, pleite, aber seelig - das nenn' ich Kundenbetreuung!
Gottlob vorbei die Zeiten, da man uns profan abriet, das Teil mit in die Badewanne zu nehmen oder ohne Verpackung zu verschicken. Nein, der mündige Konsument will gefeiert werden und geehrt,
angeregt zu frühkindlicher Regression, als Mama noch lobte, wenn die Windel voll war - will gehätschelt werden, auf dass er den nächsten Software Upgrade, wurscht zu welchen Kursen, herbeifleht.
Ja, ja, ich hör ja auf - nur eins noch:
Also, echt, also "intuitive Handhabung" und "selbsterklärende Menüführung" lassen wir mal so stehen, aber das mit dem "plug and play" - also das ist ein klassischer Übertragungsfehler aus dem
Japanischen - die ham's irgendwie nicht so mit dem "R". In echt heißt das nämlich "Plug and Pray". Lustig was? Tja, hättest mal dabeisein sollen, als Kenny Loggins 1983 seine erste Custom Yamaha
Akustik mit Pressetrara überreicht bekam - 15 Oberkrawattenwichtel im Halbkreis - Koffer auf, uuund - was stand da auf dem Griffbrett in großen perlmuttigen Lettern? "Kenny Roggins"! Echt, ohne
Scheiß! ...? Steeeefffan - schläfst Du? Hast du Töne...bei der Tochter des Königs sitzt er immer aufrecht mit Schwitzhänden, treuend wie ein Lawinenhund, und wenn ich so packend aus dem
wirklichen Leben eines Musikers... dann pennt der weg...
Egal...! Wenn man sich in den eingangs erwähnten Fragen irgendwie wiederfindet (wer nicht...?), dann wäre es Zeit mal Konsequenzen zu ziehen. Wenn unzählige Zukäufe den Dauerfrust nicht lindern
können, dann darf und muss gefragt werden, ob man vielleicht vor lauter Optionen gar nichts mehr richtig anpackt, nichts mehr beibehält, nichts mehr wirklich durchzieht.
Optionen, Alternativen, ...es lebe der Konjunktiv! "Jetzt könnte ich ja mal ein bisschen Rhythmik üben, oder sollte ich nicht vielleicht mal in dem Buch schmökern, obwohl es ja total interessant
wäre, beim Saturn in die neue "Whammies of Death" reinzuhören und davor wäre vielleicht noch Zeit, die neuen Teflonsaiten aufzuknüpfen."
Nur die Ruhe, ich hab gar nicht vor, das Kind mit dem Bad auszuschütten! Das Rumwurschteln, Probieren und Tüfteln ist ja wie gesagt mit unserer Zunft untrennbar verwuchert und auch ein Teil der
Faszination - aber was, wenn man weiterkommen will, etwas erreichen, aus dem dauernden Rumgnumselstillstand ausbrechen will? Nein, da helfen keine neuen Zukäufe, sondern eher Beschränkung,
Rückbesinnung und Standortbestimmung.
In der Folge"Hörenlernen" hatte ich ja schon mal so eine Datenreduktion, zumindest beim Hören von Musik, beschrieben. Für unser heutiges Thema gibt es aber kein "Owners Manual", keine
Bedienungsanleitung, die uns die Verantwortung abnimmt - nein, da muss sich schon jeder selbst an die Nase fassen. Als Hilfestellung schlage ich vor, etwas über "Wunsch oder Wille" zu
reflektieren:
Z.B. "Ich hätte oder ich habe"
oder "Ich würde oder ich werde"
oder auch "Ich könnte oder ich kann" - da scheint die Sprache nämlich das Hirn zu steuern...
Denn, wenn's dumm läuft, steht man vielleicht irgendwann da wie Rühmann im Hauptmann von Köpenick:
"Und denn stirbste und denn trittste hin vor Dein Herrjott und denn fragta dir: Na, wat hasde jemacht mit Dein Lebn, wat ick da jejemn hab? Und wat sag ick denn: "Rumjedudelt" sag ick denn,
"Rumjedudelt hab ick."
© 2002 Abi von Reininghaus