Ob ich was gegen Gary Moore habe...? Oder gegen Jazz..? Ob die enigmatische Tonleiter nicht schön ist..? Ob ich Shredder nicht mag... und gegen den Playboy... Sextolen doof... und die
Steuererklärung...?
Mann, was geht's uns gut, dass wir uns so einen Flachsinn leisten können! Dass wir uns tatsächlich den Kopf zerbrechen dürfen, ob jemand möglicherweise Gibson doof findet, weil er sich grad 'ne
Fender gekauft hat und umgekehrt und Röhrenamps voll langweilig, weil er mit 'nem Pod gesichtet... Gesegnet, mein lieb Vaterland.
Will hoffen, dass uns nicht mal greifbarere Sorgen einholen. Und bis dahin zünd ich Sonntags ein klein Kerzlein an, auf dass uns der Resthumor nicht auch noch vertrockne und gelobe, das zart
Pflänzlein zu hegen und zu pflegen und zu düngen mit dem monatlichen Schäufelein "In Vivo Scheißdrauf"!
Augen auf im Verkehr! Um uns herum biegen sich die Balken, dreht sich das Karussell, knallen die Korken, während wir die ganz kleinen Karos zählen. Der Dax bricht alle Rekorde, Time/Warner
schnappt der BMG die EMI weg, Benzin kostet 2 Mark und wir sind immer noch im Dornröschenschlaf. Fender, Gibson, Marshall... Dem Kassierer im Baumarkt ist es scheißegal, ob ich die Fräse von
Bosch oder Black&Decker nehm. Der streicht ein und tschüss. (Uhi, jetzt hat er was gegen den Musikalienhandel...)
Egal, was immer es ist - kauf Dein Ding, shut the fuck up and go to work! Kauft Euch Bücher über Komposition, Hintergründe zum Business, Biografien, Serviceanleitungen, fragt, nervt, bettelt,
lernt und bewegt Euch vorwärts. Fangt endlich an und tut was mit Eurer Zeit. Ich hör doch ständig die Stoßseufzer der Zurückgebliebenen "Mann, hätt ich mit Gitarre doch mal weitergemacht". Ich
kenn doch dieses unausgesprochene "Du hast es gut...".
Aber was läuft? Abwägen, bedenken, überlegen - Besonnenheit, Vernunft, Sicherheit. Hab so'n Bekannten, der sich jetzt seit Jahren überlegt, die Paul Reed Smith eventuell, aber vielleicht doch
nicht zu verkaufen und was man denn für sowas mittlerweile so kriegen kann, weil Vintage (anfang 90... chrchrchr....) und total seltene Farbe und tierischer Sound... Na, dann behalt sie doch. Ja,
aber die Farbe... Okay, dann verkauf sie. Ja, aber der Sound... Heilige Mutter, mal sie an, zünd sie an, verdammt, tu was!
Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht schon früher mal über die Zustände aufgeregt hätte. Siehe In Vivo "Scheiß Optionen" - aber so einfach verschwindet das Thema wohl doch nicht... Im
Gegenteil, das Angebot wird größer - täglich, stündlich. Mehr Möglichkeiten, mehr Alternativen, mehr Kopfweh. Ich merk es doch an mir. Jetzt kaufst du dir mal wieder ein paar geile Musikbücher.
Und dann steh ich vor den Regalen und schon verlässt mich der Mut. Mann, es gibt so viel, was soll ich nur nehmen und dann die Zeit und vielleicht ist es das Falsche und das, was ich suche, hamse
eh nicht und dann steh ich wieder da mit meiner Auto-Bild, weil ja Freitag ist und da weiß man, was man hat und wer braucht schon'n Buch, jetzt mit Internet und World Wide Wait...
Keine Frage, falls es im letzten Jahrhundert je einen brauchbaren Impuls aus der Werbung gab, dann kam er von Nike: Just Do It!
Und weil bei all meinem Bemühen selbst dem größten Mist
(...Turbosechzehntelsextolenbeihundertzwanzigpropellerfräsen?) noch eine Spur Sinn einzuhauchen manch Scharfsinnigem so eine Ahnung von Wiederholung in meinem Treiben schwanen könnte - zur Hölle,
ja - ich muss mich wiederholen!
Und die Rückmeldungen geben mir verdammt recht, mehr als recht sogar, die sind mein Antrieb. Für alle, die noch Leidenschaft in sich tragen, die was erreichen wollen, die Ziele verfolgen und sich
nicht nur treiben lassen im sedierenden Brei virtueller Konsumwelten - fernöstliches Sprichwort: Auf-Wa-Chen! Schließlich gibt es noch mehr als Bravo-Hits #29, Kuschelrock 17 und die 3
Tenöre.
Mal was Positives: Santana's "Neue" - "Supernatural". Letzten Freitag mit viel Tah-rah die Goldene überreicht bekommen und ein recht bemerkenswertes Kleinkonzert für Plattenfuzzies, Presse und
Hallo-Ich-Bin-Auch-Da's abgeliefert - in solider deutscher Tradition: Sound beschissen, Stimmung gut. Nungut, er bringt einige der alten Trademarklines nicht mehr so geschmeidig - aber der Ton,
dieser verdammte Ton, er hat ihn! Was mit einer Goldenen in Deutschland noch aussieht wie eine nette Kaninchen-aus-dem-Hut-Einlage (hierzulande lässt sich mit Liedern über Zäune mehr
verdienen....), kommt in den Staaten mit über 8 Millionen CDs schon ganz anders daher. Sicher, der Knaller ist weniger auf Carlos' Schaffens- und Kreativitätsschübe als auf Clive Davis' (Arista)
Marketing Expertise zurückführen. Käme doch kein Musiker aus freien Stücken auf die Idee, alles Verwertbare aus dem Arista/BMG Katalog auf einer Scheibe namens "Übernatürlich" mit Timbales und
elektrischem Gitarrenhals durchzurühren. Oder? Aber - no hard feelings - das willkommene Abfallprodukt dieses gelungenen Planspiels ist ein gesteigertes Interesse des "Konsumenten" an
elektrischer Gitarre - jenseits von Rock und Blues. Mich freut's!
Heißt für uns wiederum: ran an die Flak! Denn haben - mit Verlaub - haben tun wir doch genug, um Lärm zu machen. Okay, natürlich kann es nie genug sein - schließlich steht der Fernseher auf einer
anständigen 4x12er allemal stabiler als auf Oma's Nippesvitrine. Will sagen, für richtiges Equipment findet sich immer eine würdevolle Ecke in der 1-Zimmer Flucht... Aber dass wir nicht genug
Zeugs hätten, um endlich richtig lautzuwerden - erzähl mir doch keiner so'nen Mist. Und wenn, dann kann man sich ja schon mal was borgen (dekliniert: bergen, borgen, verborgen...) Mein Fender
Champ steht bei HaPé und heut abend schleppt er noch die Goldtop raus (...rief eben an), dann eine 4x12er, die steht bei einer Band, die ich nicht kenn' (sollen aber nett und ordentlich sein -
von mir aus, darf sich die Versicherung mit rumschlagen...), mein QY300 bei Kevin (hey, das war November 98, verdammt, ruf mal an!) und die alten Electro Harmonix Treter sind schon vor Jahren
vollzählig mit einer Frau abgetaucht, die auch nett und ordentlich war...that's life, that's Rock'n Roll... Und ich verleih nie mehr was, bin doch nicht doof, nie mehr länger als über's
Wochenende - muss nur endlich klären welches. Ach und gestern wackelt Peter mit meinem roten VH-4 Top ab ("wir testen da nur 'ne neue Midi-Platine, kann überhaupt nix passieren....") Was soll's -
ist doch praktisch, wenn man beim Amp den Verkehrsfunk fußschalten kann, spart die GEZ...man muß positv denken!
Also nochmal, Zeugs ist genug im Umlauf - woran's hapert, ist ein vernehmliches, ein beherztes JETZT.
Eigentlich wollte ich diesen Appell ja punktgenau über dem Kalenderwechsel abwerfen, hatte mich aber zwischenzeitlich etwas in den Fräserleckerlis verstrickt. Nicht dass das Thema out wäre -
demnächst werd ich mal abtauchen in meinen Papierbergen. Ich hab noch irgendwo ein paar Zettel mit den zeit- und hirnlosesten Standartfräsen der letzen Jahrzehnte - vrrvrrvrr - Ihr wisst schon...
Da müssen wir also nochmal ran.
Im Moment möchte ich aber lieber etwas Motivationspflege betreiben.
Bei der Durchsicht meiner "Fachliteratur" fällt mir momentan mehr englisches Zeugs in die Hände. Lecker Bilderbuch: "The Player's Guide to Guitar Maintainance", Miller Freeman Books 1998. Auch
wer nicht den Mut hat, an seinen Pfannen rumzusägen, die Photos, Zeichnungen und Erklärungen sind sensationell einladend. So appetitlich wie die selbst Kleinteile ablichten, da kommt bei jedem
Fünfwegschalter, jeder Kneifzange und Saitenkurbel ein veritabler Hormonschub. Okay, okay, zum Thema passender habe ich gerade beendet "Walk This Way - The Autobiography of Aerosmith", Spike
Books 1999 und "Confessions of a Recordproducer - How to Survive the Scams and Shams of the Music Business", Miller Freeman Books 1998. Die reine Auflistung der für unser Fortkommen wichtigen
Industrieinstanzen, ist ein Teil der Wahrheit. Komplett wird das Bild aber erst, wenn wir uns näher ansehen, wie diese einzelnen Instanzen kooperien bzw. kollidieren, wie sie arbeiten und sich
verändern. Ich denke ja oft, dass hierzulande ein eher romantisches Bild "unseres" Industriezweiges vorherrscht. Und wie schon an früherer Stelle bemerkt - ich will nicht Leidenschaft, Hingabe
und Träume unterdrücken, ich will sie schützen vor den manchmal zynischen Fakten und Praxen des Business - in der nicht uneigennützigen Hoffnung, dass sich mehr tut bei uns, sich mehr Mut
entwickelt, wir weniger von amerikanischen Denk- und Gebrauchsmustern dominiert werden.
Natürlich komme auch ich nicht an dieser "Ja, aber..." Mentalität vorbei. Die Vorbilder - für mich nicht minder - sind Engländer und Amerikaner. Die haben den Rock, den Pop, den Jazz, den Blues
geschaffen - die sind und bleiben meine Fahrbahnmarkierung. Und die Gerätschaften, mit denen wir von uns hören machen, die waren ebenso ausnahmslos importiert - aus England, den USA und Japan.
Wohlgemerkt "waren". Denn wenn ich sie mal so sichte, die Trophäen meines Überschwangs, so wie Anfang des Jahres von der Versicherung gefordert - und wenn ich mir dann überlege, welche Teile ich
wirklich nicht verlieren möchte, dann sind das auffallend viele Trümmer aus vaterländischen Manufakturen. Das hat mich wirklich überrascht, vor wenigen Jahren noch war das weißgott nicht so.
Interessant... tut sich da was?
Jetzt flugs den Gedankenbogen weiter geschlagen - da denke ich, dass wir (Einheimische) wohl nicht nur auf dem Hardware Sektor was zu bieten haben müßten. Ist da nicht auch künstlerisch, kreativ,
stilistisch was vorhanden?
Zum Teufel ja! Nur, und das will ich nicht verheimlichen, es ist schwer, aus dem Schatten zu treten, aus dem Schatten übermächtiger Vorbilder, allmächtiger Trends und einem ehernen
Erziehungsmuster. Aller Erfolg hat einen Initialzünder, einen Moment der Erkenntnis, einen Geistesblitz, ein Das-isses-das-mach-ich-Gefühl. Wie das genau aussehen könnte, wurscht, das bleibt vom
Einzelnen so individuell abhängig wie es nur
bleiben kann, und das ist gut so. Aber wie man damit umgeht, wie ernst man so einen Moment nimmt, ob man den Mut hat weiterzudenken, sich reinzustürzen, das hängt doch sehr davon ab, als wie
"hoffungs- und fruchtlos" uns unsere "abweichlerische Denke" in Familien, Freundes- und Kollegenkreis vergrätzt wird. Und in der Disziplin ist der deutsche Sprachraum weltweit Klassenprimus.
"Was, Gitarre willst du lernen, Karriere machen, jetzt werd mal bloß vernünftig." "Schauspieler, du? Die fahrn doch alle Taxi..." "Mode? So wie duuu rumläufst? Und sind die nicht alle schwul und
drogenabhängig...?"
Liebe Eltern, schon mal was von Ärzteschwemme gehört, von Zulassungsbeschränkung, von Niederlassungsstop, von arbeitslosen Juristen, Lehrern, Architekten? Altersabsicherung als Argument, ich
bitte Sie! Und dass es in einer großen Firma als Ingenieur doch viel sicherer ist, als Künstler von der Hand in den Mund.... Wieviel hat Coca Cola eben gefeuert und AOL/Time Warner und die Bahn
und die Post...? Nix gegen konservatives Denken, irgendjemand muss die Bude ja bauen, in der der Künstler dann mit Torten schmeißt, aber so grundsätzlich, so kategorisch, so religionsgleich alles
zu verteufeln, was mit Kunst, Kreativität, Selbstbestimmung und Risikobereitschaft zu tun hat, das schafft keiner so wie "wir", das deutschsprachige Mitteleuropa.
Wenn es dann aber einer geschafft hat, raus aus der zähen Heimat, dann hamses alle schon immer gewusst.
Oft sind Beispiele aus anderen Bereichen anschaulicher.
Max Grundig erfand den Videorecorder, war aber zu doof, das Potential zu erkennen (...wozu sollte man denn was vom Fernsehen aufnehmen wollen...?). Die Japaner nahmen die Idee und rannten los -
was der verbriefte Startschuss zur weltbeherrschenden Stellung Japans in der Unterhaltungselektronik wurde.
Oder, auch nett: 20th Century Fox dachten allen Ernstes, sie sparen 150 Mios, wenn sie die Merchandisingrechte an Star-Wars nicht mit im Paket kaufen, ein Jahr später hat Pepsi bei George Lucas
dafür 1,2 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt - dumm gelaufen, nich? Da gibt es jeden Tag solche Momente, tausendfach - egal, ob im Verborgenen und viel kleiner und in der Musik und nicht im
Big Business bzw. in der Forschung - egal, ob in "kleinen Tüfteleien" wie bei Rockinger (hat dann als "Floyd Rose" Karriere gemacht...) oder in "abwegigen Ideen" wie bei Stefan Raab (mit "Hier
kommt die Maus" flog er jahrelang hochkannt aus jeder deutschen A&R Tür, bis, ja bis eines Tages jemand...) und Lou Bega durfte sträflich lange mit seinem "Mambo No 5" nicht mal die
Eingangslobby deutscher Majors wischen (bis, ja bis eines Tages jemand... Usw, usw, usw,... Wer mich schon aufgegeben hat - nein - mein Wirres Schreiben hat ein Credo.
Pädagogische Binsenweisheit:
Entscheidend ist nicht, was aus uns gemacht wurde - entscheidend ist, was wir aus dem machen, was aus uns gemacht wurde.
Wir sind nicht unterjochte Kronkolonie amerikanischen Unterhaltungskolonialismus, das haben wir uns selbst so rausgesucht, das war und ist unsere freie Entscheidung und dementsprechend können wir
was tun - aktiv, innovativ.
Und widmen möchte ich diese Folge Leuten wie Toni, Uwe, Charles, Mario, Katrin, Zäppu, Michael und allen, die auf der Suche sind nach Zuspruch, nach Ermutigung und Energie, um weiterzumachen und
was zu bewegen.
© 2002 Abi von Reininghaus